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"Bauen und Sehen" (Teil 2)


Der berühmte Satz des amerikanischen Architekten Sullivan "form ever follows function", gerne zitiert und von den Analytikern, diesen Anatomen an der Reißschiene wahrscheinlich häufig mißverstanden, stellte nämlich ohne Zweifel einen Irrtum dar, wenn man ihn so auslegte, der engere Zweck, nämlich der, den ein Bauwerk lediglich beherbergen soll, bestimme grundsätzlich auch seine äußere Form, beschränke sich also nicht darauf, sie nur zu beeinflussen.

Wenn lediglich auf den engeren Zweck bezogen, folgt aus Sullivans Maxime eigentlich eine Ausformung des Baukörpers nur von innen, ohne Rücksichtnahme auf äußere Bedingungen. Weil überdies aus der Definition von Zwecken eine präzise Beschreibung der ihnen entsprechenden Räume und der durch sie bedingten Baukörper nicht zwingend gefolgert werden kann, wird die Formfindung in Wahrheit eine beliebige.

Dem Empfinden allein zugängliche, aber unumstößliche Werte, wie maßstäbliches Einfügen in einen Landschafts oder Stadtraum oder Qualitäten, wie Reichtum der räumlichen Atmosphäre und die Ausgewogenheit von Raumproportionen, halten, da kaum beweisbar, nicht Stand und können ohne Mühe beiseite geschoben werden.
Nun allerdings steuerlos geworden, wird der Entwurf zwischen hier und da auftauchenden, nur logischen und sich daher schnell wieder verflüchtigenden  Gründen hin und her geworfen, bis sich die sowieso schon eingeschränkte Argumentation gänzlich auf das Ökonomische im Sinne der Geldwirtschaft verengt.


Abb.11 Foto Berufsbildungszentrum Neu-Königsaue

Abb.11 Foto Berufsbildungszentrum Neu-Königsaue


Ökonomie als Haltung hat einen Wert, aber gerade diese Spielart scheint dem bloßen Zweckdenken erstaunlich fremd  zu sein. Sie heißt Sparsamkeit im Umgang mit den uns zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen, und sie wäre durch das ihr immanente Abwägen von Zweck und Mitteln zum Zweck durchaus geeignet, auf das Ausufern der Formen in unserer gebauten Welt mäßigend, das heißt stabilisierend einzuwirken. Darin der ganze Gegensatz zu einem unsicher auf den Tageserfolg ausgehenden und darum seiner Art nach wankelmütigen und kurzatmigen Markt.
(Abb.11 Foto Berufsbildungszentrum Neu-Königsaue)

Mit seiner Formel hat Sullivan dem Bauen Regeln geben wollen, nicht etwa jedweder Willkür den Weg bereiten. Seine geradezu poetische Beschreibung von Erscheinungsformen der Natur, die schließlich in der zitierten Schlußfolgerung mündet, legt nun eine Auslegung nahe, die dieser Absicht auch entspricht und wohl eher zutrifft, als die eben behandelte. Wenn er sich dort zum Beispiel zutiefst beeindruckt über die exakte Überseinstimmung der Gestalt des kreisenden Adlers mit seiner Lebensweise im Luftraum äußert, verstehen wir ihn sehr gut.


Abb.c) Adler im Flug

Abb.c) Adler im Flug


Zugleich werden wir gewahr, daß die Anpassungsform dieses Geschöpfes der Lüfte unterschiedliche Ebenen aufweist, deren Schichtung den erwähnten Überlagerungen von Funktionen in der Gestalt eines Bauwerkes analog zu sein scheint. Ebenen, die zwar nicht einzeln greifbar sind, die wir aber abstrahierend aus der Gestalt des lebenden Individuums herauslesen können.

Sullivans Adler ist, wie jeder andere Vogel auch, zuerst und essentiell ein Flugapparat. In erster Linie ist er das Gegenbild seines wesentlichen Aktionsraumes, eben dem der Lüfte.

Darauf erst folgen die Eigenschaften, die ihm die Art eines Raubvogels und schließlich das Spezifikum eines Adlers verleihen: Das sind die Merkmale des Jägers, die der Eignung zum Dasein in einer nun schon speziellen, auf Beutemachen eingerichteten Nische seines übergeordneten Lebensraumes. Daher betrachten wir diese sozusagen speziellen Anpassungsformen gegenüber jenen grundsätzlichen, zur Eroberung des Luftraumes entwickelten als prinzipiell nachgeordnete. Nun erst, also ganz zuletzt, kommen wir zur Ebene engster  Erkennungszeichen, die eine  Persönlichkeit im einzelnen beschreiben. Sie sind es, an denen wir den über uns kreisenden Vogel als Individuum erkennen und von anderen Individuen gleicher Art unterscheiden.

Wir können also drei Anpassungsebenen wahrnehmen, die wir ihrem jeweiligen Rang gemäß Primär, Sekundär, und Tertiärebene nennen wollen.

Obwohl wir im praktischen Leben stets ein Individuum vor uns haben, sei es Mensch, Tier oder Pflanze, identifizieren wir es erstaunlicher Weise in der gleichen Reihenfolge, und zwar gleichfalls vom Allgemeinen zum Speziellen. Die Anpassungsebenen sind demnach zugleich Wahrnehmungsebenen. Zuerst stellen wir fest, es ist ein Vogel, dann unterscheiden wir den Adler und schließlich wissen wir, es ist jener bestimmte, den wir schon gestern gesehen haben. Auf diese Art zu sehen, ist uns von Natur aus mitgegeben und es wundert uns daher nicht, daß das Kind malend danach verfährt.

Wie schon erwähnt, halten wir es für wahrscheinlich, daß dieser Seheigenschaft umgekehrt ein Sehbedürfnis entspricht. Deshalb wird es wünschenswert sein, auch am menschengemachten Gegenstand einen Aufbau vorzufinden, der dieser Wahrnehmungsmethodik entgegenkommt. Kann ein Bauwerk nun überhaupt von der Beschaffenheit sein, die das schichtweise Erschließen und Entwickeln vom Allgemeineren zum Individuelleren während des Sehvorganges erlaubt? Es ist wiederum erstaunlich, genau diese Eigenschaft an der gewachsenen Hausform zu entdecken.


Abb.12 Entwicklungsreihe ländl. Bauten, Skizze

Abb.12 Entwicklungsreihe ländl. Bauten, Skizze


Auch an ihr erkennen wir Anpassungsebenen, die hier nun mit den  Zwecken zusammenhängen, denen das Gebäude dienen soll. Zweckdienlichkeit ist ja eine indirekte Form menschlicher Anpassung, die sich von der natürlichen Evolution allerdings darin unterscheidet,  daß es sich, sie zu erzeugen, um einen gezielten, von vornherein beabsichtigten Vorgang handelt. Um in die für das Bauen gebräuchliche Terminologie zurückzukehren, wollen wir, da sie sich ja aus dem Zweck des Hauses herleiten, diese Anpassungsebenen auch als Funktionskreise bezeichnen. Ihre Ordnung stimmt, wie wir gleich sehen werden, aufs Haar mit derjenigen der Wahrnehmungsebenen überein. Deshalb unterscheiden wir in Analogie primäre, sekundäre und tertiäre Funktionen und bezeichnen die von ihnen bewirkten Anteile am endgültigen Erscheinungsbild als primäre, sekundäre und tertiäre Gestaltkomponenten.
(Abb.12 Entwicklungsreihe ländl. Bauten, Skizze)

Gerade das aber ist das Überraschende: Die Analogie des inneren Aufbaus einer technisch bedingten und geplanten Form mit demjenigen von gewachsenen Anpassungsformen in der Natur. Als ob ursprüngliches Schaffen des Menschen Gesetzen folgt, die jenen gleichen, denen er sein eigenes Werden verdankt.
Die Funktionen und die mit ihnen zusammenhängenden Formen bauen zwar aufeinander auf, werden aber nicht einfach übereinandergeworfen wie ein Stapel Postkarten, sondern lassen, indem sie miteinander vereint werden, jedesmal etwas grundsätzlich Neues entstehen. Ein Ganzes, ebenso wie Sullivans Adler ein Ganzes ist.


Abb.13 Stadl mit Trockenmauerwerkspfeiler

Abb.13 Stadl mit Trockenmauerwerkspfeiler



In der ersten Wahrnehmungsebene liegt demnach die Primärfunktion, deren Gestaltkomponenten in Summa ein Gebilde hervorbringen, das wir den Archetypus des Hauses nennen wollen. Wenn zwischen der Ursache, den Naturkräften, und der Wirkung, dem Schutz gegen sie, eine anschauliche Beziehung entstehen soll, kommt es nicht nur darauf an, den primären Zweck im technischen und funktionellen Sinne genau zu erfüllen. Dann ist es ebenso wichtig, ihn mit Hilfe der Form unmißverständlich und präzise auszudrücken.
Eine schräg gestellte Fläche, die den Regen auffängt, herableitet und von der er nun abtropft, wäre in diesem Sinne ein anschaulicher, das heißt ein sich selbst erklärender Gegenstand.

Eine gedrungen emporwachsende Mauer, womöglich aus flachen Steinen aufgeschichtet, wird ohne weiteres als Gegenbild der herabziehenden Schwerkraft verstanden. Die senkrechten Stiele und die darüber gelegten waagerechten Balken des Fachwerkes sind für uns Gestalt gewordenes Lasten und Tragen.
(Abb.13 Stadl mit Trockenmauerwerkspfeiler)


Abb.Abb.14 Sender Barcelona      Abb.15 TCM, Abendfoto

Abb.14 Sender Barcelona und Abb.15 TCM Hannover, Abendfoto

Ebenso, wie eine nach Art einer Takelage verspannte Konstruktion das Spiel der Kräfte zum Ausdruck bringt.
(Abb.14 Sender Barcelona), (Abb.15 TCM, Abendfoto)


Abb.16 Urformen

Abb.16 Urformen


Nun ist auch klar, warum wir unter dem Archetypus unserer Breiten eine Gestalt erahnen, die, von kompakter Form und minimaler Oberfläche, sich tief unter ein geneigtes Dach duckt; an der Tür und Fenster nur kleine Öffnungen in der schützenden Mauer beanspruchen.
(Abb.16 Urformen)

Er ist im Dialog mit der Natur zum Schutz gegen sie entstanden und dabei zum Gegenbild eines Lebensraumes gediehen, dessen Charakteristik eben ein an Regen reiches, windiges und von sommerlicher Hitze zu klirrender Winterkälte wechselndes Klima ist. Ein technisch genau durchdachter Gegenstand, dessen Funktionieren offen zutage liegt und sixch selbst erklärt. Anschauliches, wahrnehmungsgerechtes Bauen hat nichts mit der Ablehnung technischen Denkens an sich zu tun, sondern setzt lediglich eine bestimmte Bewertung von Technik voraus. Wir wiederholen: Es braucht eine sich selbst erklärende, durchschaubare Technik.


Abb.17 Wattmuschel, Skizze

Abb.17 Wattmuschel, Skizze


Die aus praktischen Gründen entstandene Vielfalt von Variationen der Urform eint das Leitmotiv, auf ihre Existenzbedingungen konsequent abgestimmte technische Antworten zu sein. Technik ist prinzipiell kein Feind der Natur. Sie ist vom Leben gewollt und es wird nicht einmal möglich sein, eindeutig zu definieren, was eine lebensfeindliche  Technik überhaupt  ist. Das scheint weniger eine Sache des Prinzips als eine Frage des richtigen Maßes zu sein. Bekanntlich zögert die Natur keineswegs, ausgefeilte Techniken anzuwenden, wenn sie ihr zweckdienlich erscheinen.



Abb.d) Laternenfisch

Abb.d) Laternenfisch


Man denke nur an die raffinierten Maßnahmen einer Muschelart, die sich tief im Sande des Wattes vor Räubern verbirgt, aber auch an die millimeterdünne Schicht von Sinkstoffen an der Wattoberfläche herankommt, in der allein sie Nahrung finden kann. Oder an manche Fische der Tiefsee, die buchstäblich Laternen tragen, um die Dunkelheit zu durchdringen. Oder den Pottwal, der bei der Jagd in der Finsternis der Tiefe Sonar einsetzt.
(Abb.17 Wattmuschel, Skizze)

Das unerschöpfliche Meer natürlicher Lebensformen erscheint uns dabei, wenn auch zuweilen fremdartig, doch nirgends wesensfremd, weil selbst das überraschend Neue aus dem seit Vorzeiten Erprobten und Geläufigen hervorgeht, um dann schließlich wieder in die allumfassende Einheit der Schöpfung einzumünden. Ihnen allen ist gemeinsam, von den Ressourcen ihres Lebensraumes mit Umsicht Gebrauch zu machen. Sie sind dazu gezwungen, um zu überleben. Auch der Mensch, nur scheint er das recht langsam zu begreifen.

Der Archetypus nun entspricht der Forderung nach Sparsamkeit perfekt. Seine Oberfläche ist im Verhältnis zum Inhalt klein, sein Material und Energiebedarf also ebenfalls, das Gerüst einfach und mit relativ geringen Kräften aufzuführen.


Abb.18 Skizze Quedlinburg, Rathaus, Kirche, Wohnhaus

Abb.18 Skizze Quedlinburg, Rathaus, Kirche, Wohnhaus


Durch diese Eigenschaften, entstanden aus der Reflexion naturgegebener Existenzbedingungen, scheint er überdies in der Einheit der Natur aufzugehen und infolgedessen mit der Gabe belehnt worden zu sein, selbst Einheit stiftend zu wirken. Das wäre eine Erklärung dafür, daß im Laufe der Zeiten die unübersehbare Vielfalt von Formen mit einem fast unerschöpflichen Reichtum des Ausdrucks entstehen konnte, ohne zu zerfasern und in Unordnung zu geraten. Eine Erscheinung übrigens, die, bezogen auf die jeweils typischen Lebensbedingungen in allen Kulturen beobachtet werden kann. Denn jeder Lebensraum brachte einen für dortige Verhältnisse und die ihnen kongruenten Ressourcen charakteristischen Archetypus hervor und entwickelte ihn weiter.

Man schaue sich die unterschiedlichen Kulturen nur an: In regenreichen Klimaten spielt das Dach eine große Rolle, in trockenen natürlich eine geringere
(Abb.18 Skizze Quedlinburg, Rathaus, Kirche, Wohnhaus)

In Nordeuropa führte das zu dem eben beschriebenen gedrungenen Baukörper, dessen stärksten Ausdruck das auffällige Dach erzeugt. Je einfacher und deutlicher eine Gestalt, desto einprägsamer ist sie als optischer Begriff. Umso geeigneter als Archetypus, die gebaute Welt zu ordnen und für unsere Wahrnehmung zugänglich zu machen. Auf die gleiche Weise, wie sich die natürliche für unser Auge erschließt: Ausgehend vom Allgemeinen, fortschreitend zum Speziellen.


Abb.19 Skizze Dampfer

Abb.19 Skizze Dampfer


So hat der Archetypus Haus für das Sehen und Verstehen unserer künstlichen Welt eine ähnliche Bedeutung wie die Archetypen Vogel, Fisch oder Baum in der natürlichen. Weil zum Umgang mit der Natur geschaffen und ihrer Gewalt unmittelbar ausgesetzt, haben vergleichbare technische Schöpfungen wie Schiff oder Flugzeug ursprünglich dieselbe begriffliche Klarheit. Wie den Vogel verstehen wir auch das Flugzeug sofort als einen Abkömmling der Lüfte und das Schiff, behäbig von den Seen getragen und sie doch mit scharf geschnittenem Bug zerteilend, als den Gefährten der Wogen.
(Abb.19 Skizze Dampfer)

Wenn wir das lebendige Bild bei vielen modernen Dampfern vermissen, so deshalb, weil wir den Archetypus Schiff in den ungeschlachten Kästen kaum noch erkennen, die von der überlegenen Kraft der Schrauben mit gleichmütig unbeteiligter Gewalt wie gelangweilt durch jedes Wetter geschoben werden und das Meer klein erscheinen lassen. Umso größer das Entsetzen, durchaus von Spuren der Empörung und verletzten Stolzes untermischt, wenn es plötzlich doch zuschlägt und die wirklichen Machtverhältnisse sichtbar werden. Wenn man in unserer Realität, vom merkantilen Denken dominiert, gegen die sogenannten harten Fakten, die zu einer solchen Vorherrschaft des technisch Ökonomischen geführt haben, kaum mit Erfolg wird argumentieren können, läßt sich nicht leugnen, daß ungeachtet dessen diese unsere Realität an einem Wirklichkeitsverlust leidet.

Wenn wir die Anker in den Gründen unserer natürlichen Welt kappen, lösen wir zugleich die Haltetaue unserer Herkunft und damit auch unserer Geschichte. Wir treiben an die Oberfläche und unser Tun verliert die Tiefe. Die Gegenstände, mit denen wir uns umgeben, schrumpfen auf die kleinste Dimension schnödester Notwendigkeiten, die uns eine um das Geld kreisende kurzlebige Gegenwart abverlangt. Geschichtliche Kontinuität, nämlich den ununterbrochenen Zusammenhang aller Lebensäußerungen der Gesellschaft von den Ursprüngen bis in die Gegenwart halten wir für die Lebensader einer jeden Kultur. Schneiden wir sie ab, muß mit der Kraft der Kultur auch die der Gesellschaft versiegen. Damit finden auch Vitalität und Produktivität einer solchen Gesellschaft ihr ärmliches Ende.

Wenn also das ganze Sinnen und Trachten ausschließlich auf das Ziel materieller Wertschöpfung gerichtet ist und man das Empfinden für tiefere, nicht durch Zahlen belegbare Werte einbüßt, setzt man die Säge an den Ast, auf dem man sitzt. Auch das Bauen gerät zunehmend in den Sog des eben angedeuteten Schrumpfungsprozesses auf das pur Notwendige, der, das wird jeden Tag deutlicher, letzten Endes ein geistiger ist. Weil aber auf uns selbst zurückgehend, vermögen wir auch selbst etwas dagegen zu tun. Ein Bauwerk sollte, das wünschen wir uns, etwas an sich haben, was es über seinen Zweck, also über sich selbst hinaus hebt. Etwas, worauf es hindeutet, was es bedeutsam macht. Wie wir nun verstehen, wird das gerade dann eintreten, wenn es diesen seinen Zweck präzise auffaßt und exakt wiedergibt.


Abb.20 Ansicht Thermalbad, Bad Kreuznach

Abb.20 Ansicht Thermalbad, Bad Kreuznach


Bei der Bestimmung des Hauses für den eigentlichen Gebrauch überlagert die ihm zugehörige sekundäre Funktion die primäre. Beide zusammen bringen den Typus hervor.

Ein Wohnhaus entsteht als ein Wohnhaus, wie ein Adler als Adler aus dem Ei schlüpft. Obwohl wir primäre und sekundäre Formenelemente unterscheiden, dürfen wir also nach wie vor  nicht aus dem Auge verlieren, daß sie von vornherein ein untrennbares eigenständiges Ganzes darstellen. Auch wollen wir nicht vergessen, daß unser Haus in erster Linie ein Werkzeug zu dem Zweck ist, elementare Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Allgemeiner ausgedrückt, es dient uns als Schutzwall, dem evolutionären Druck, der auf uns lastet standzuhalten. Oder als Basis, unsere ökologische Nische weiter auszubauen.
(Abb.20 Ansicht Thermalbad, Bad Kreuznach)

So ist es ein der natürlichen Evolution durchaus vergleichbarer Anpassungsvorgang, den Archetypus auf bestimmte, uns sinnvoll erscheinende Zwecke hin umzuwandeln und zu erweitern. Das heißt, ihn zu spezialisieren, um unsere Lebensaussichten zu verbessern. Demnach ist das ein Vorgang von ursprünglicher, beinahe biologischdynamischer Notwendigkeit. Insofern ist Funktionstüchtigkeit, eine präzise Zweckerfüllung von essentieller Bedeutung. Wenn uns die Ebene der Sekundärfunktionen derjenigen der primären im Wahrnehmungsprozess zwar nachgeordnet erscheint, so dürfen wir sie doch insgesamt gesehen keinesfalls als zweitrangig  betrachten.


Abb.21 Arten

Abb.21 Arten


Je genauer die sekundären Zwecke erfüllt und je inniger sie mit den primären legiert werden, desto besser das Haus. Wenn der Zweck an der Gestalt des Bauwerkes offensichtlich ist und  einen bestimmenden Anteil hat, dürfte es dann auch umso typischer aussehen. Aus der im Laufe der Evolution eintretenden Differenzierung menschlicher Betätigungen folgt zwangsläufig eine Spezialisierung des Bauens mit der Auffächerung in mannigfaltige Haustypen. Es bilden sich die bekannten Gruppen von Häusern verwandter Zweckbestimmung. An dieser Stelle kommen wir auf den Vergleich mit der Nomenklatur der Biologie zurück.

Demnach kennzeichnete der Archetypus nun eine Gattung und der Typus eine Art oder Unterart. Wie nun Adler, Pinguin oder Strauß zur Gattung Vogel gehören oder Hai, Rochen oder Scholle zur Gattung Fisch, so ging der Archetypus Haus im Laufe seiner Evolution beispielsweise in den Typen Bauernhaus, Wohnhaus, Werkhalle, Rathaus oder Kirche auf.
(Abb.21 Arten)


Abb.22 Haus des Palladio, Zeichnung

Abb.22 Haus des Palladio, Zeichnung


"Erscheinen und Entzweien sind synonym", sie sind von gleicher Bedeutung sagt Goethe und erklärt damit das visuelle Unterscheiden eines Gegenstandes von seiner Umgebung, das wir als Voraussetzung dafür kennen, das Erscheinungsbild eines Gegenstandes überhaupt wahrzunehmen. Unsere gebaute Welt homogen und zugleich abwechslungsreich zu gestalten, dabei bewegen wir uns auf schmalem Grat. In der Gefahr nämlich, daß Einheitlichkeit durch Einfalt in Ödnis abgleite und Vielfalt durch Zügellosigkeit in Chaos. Beide berühren sich in unseren Augen, als schlösse sich ein Kreis. Ihre Wirkung ist ähnlich, wenn nicht gleich. In beiden Fällen verweigert sich unser Empfinden; wir verschließen unser Inneres und ziehen uns vereinsamt auf uns selbst zurück, da es uns beidenfalls unmöglich gemacht wird zu unterscheiden, um das Erscheinende aufnehmen zu können.

In die Falle beider Extreme wollen wir nicht geraten, wenn wir nun zupacken und das Haus tatsächlich bauen. Indem wir seinen Weg vom Archetypus über den Typus verfolgten und ihn jetzt bis zur tertiären Wahrnehmungs und Funktionsebene, der Ausprägung zum Individuum weiter begleiten, ist uns einerseits die Bedeutung des Einheit stiftenden Bandes einer vom Archetypus ausgehenden Gestaltverwandtschaft besonders deutlich geworden, aber zugleich haben wir eine von Wahrnehmungsebene zu Wahrnehmungsebene zunehmende Feinheit der Unterscheidung vom Allgemeinen zum Speziellen erkannt.
(Abb.22 Haus des Palladio, Zeichnung)  

[weiter zu Teil 3]

   



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